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Neue Regeln bei Filmfestspielen

Redakteurin enttäuscht: „Der neue Dresscode in Cannes wirft uns Jahre zurück“

Filmfestspiele Cannes
Model Bella Hadid erschien letztes Jahr mit transparentem Kleid auf den Filmfestspielen Cannes. Dieses Jahr wäre ein solches Outfit verboten Foto: Getty Images
Redakteurin STYLEBOOK

13. Mai 2025, 14:29 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Das Filmfestival Cannes ist jedes Jahr ein wahres Spektakel. Nicht nur im Hinblick auf die Verkostung großartiger Filmwerke, sondern auch in Bezug auf den roten Teppich. Wer lässt sich blicken? Wer hat was an und – wird sich dabei auch brav an das Regelwerk gehalten? Unsere Redakteurin prangert genau Letzteres an.

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Dort, wo der hedonistische Lifestyle geboren zu sein scheint, wird gerade erstaunlich viel zensiert. Statt Nacktheit heißt es jetzt, gezügelt und bedeckt auf den größten Filmfestspielen Frankreichs zu erscheinen. Einerseits ist dies verständlich, da wir uns an der edlen Côte d’Azur befinden und sich der Dresscode des Filmfestivals Cannes auch daran orientiert. Andererseits ist es nun einmal ein Ort der Kreativität und vermeintlichen künstlerischen Freiheit. Warum wird bei Nacktheit eine Grenze gezogen?

Vorschriften sind beim Filmfestival Cannes keine Neuheit

Jetzt lösen neu veröffentlichte Vorschriften Diskussionen aus, die besagen, dass zu den diesjährigen Filmfestspielen voluminöse Kleider mit Schleppe und Nacktheit auf dem roten Teppich ein Tabu darstellen. Es heißt dort genauer, dass die Gala-Aufführungen im Grand Théâtre Lumière mit angemessener Abendgarderobe besucht werden sollen. Alternativ seien ebenso Cocktailkleider, dunkel gehaltene Hosenanzüge, ein schickes Oberteil mit schwarzer Hose und – kaum zu glauben – flachen, eleganten Schuhen (keine Sneaker!) akzeptabel. Das Empfangsteam des Festivals darf, falls jemand gegen die Vorgaben verstößt, den Einlass untersagen.

Es ist nicht das erste Mal, dass solche Regeln für einen Eklat sorgen. Im Zuge des „Heelgate“ 2018 zog sich Kristen Stewart ihre hohen Schuhe mitten auf dem roten Teppich aus und posierte barfuß. Bis dahin wurde nie schriftlich festgehalten, dass man als Frau Schuhe mit Absatz tragen solle – allerdings war dies eine ungeschriebene Vorschrift, dessen Verweigerung geschlossene Filmfest-Türen bedeuteten. Die US-amerikanische Schauspielerin Chloë Sevigny benannte dies im Gespräch mit der „Vogue“ als „altmodische archaische Regel“ und betonte: „Frauen sollten tragen können, was sie wollen“. Immerhin wurde die strikte Schuhzensur in den neuen Hinweisen aufgehoben.

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Flache Schuhe? The bare minimum!

Na, wenn wir da nicht vom sogenannten bare minimum sprechen. Es ist wohl das Mindeste, dass weiblich gelesene Personen nicht einen Abend lang in Stöckelschuhen herumlaufen müssen! Die Betonung liegt hier auf dem letzten Wort: müssen. Denn so viele Menschen sich auf hohen Hacken wohlfühlen und sie gerne für ein paar Stunden auf einem der international renommiertesten Filmfestivals tragen, so gibt es auch genug, die sich damit nicht identifizieren können oder möchten. Und das ist okay so.

Denn worum es eigentlich gehen sollte bei solch einer Veranstaltungsreihe, ist die Filmkunst. Die Mode ist hier zwar wichtig, aber zweitrangig. Sie hat selbstverständlich eine hohe Bedeutung, denn sie schmückt die Regisseure, Tonmänner, Schnittfrauen und Schauspieler während Fotos für die Ewigkeit entstehen.

Es war einmal eine Glitzer-Sandalette

Persönlich würde ich gerne auf einem solchen Foto nicht daherkommen, als würde ich vor lauter Fußblasen jeden Moment anfangen zu heulen. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu ungeübt im Auftragen frauenfeindlicher Dresscodes, weil ich diese Orte bewusst meide.

Bis auf das eine Mal: Ich war selbst zu Gast bei den Filmfestspielen Cannes. Mit zarten 16 Jahren durfte ich mir hier eine Galavorführung anschauen. Es war aufregend. Noch heute erinnere ich mich daran zurück, wie mir Elle Fanning zuwinkte. An hohe Schuhe hatte ich im Vorhinein nicht gedacht, weshalb ich mir noch am selben Tag für viel Geld wunderschöne Sandaletten mit einem glitzernden Absatz holte.

Sie stehen heute im Regal und lassen mich an große Glücksmomente zurückdenken. Für mein 16-jähriges Ich war diese Vorschrift also okay. Ich passte mich an und konnte meine Nostalgie sogar in einem Schuh materialisieren! Ich hatte jedoch kein eigenes Kunstprojekt dabei, habe nichts vorgestellt, musste und wollte nichts verkörpern und habe anatomisch die Möglichkeit dazu gehabt, für ein paar Stunden diese Schuhe ohne große Schmerzen zu tragen.

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Im Foto werden Künstler und Werk eins

Andere Menschen gehen zum Filmfestival im Zeichen ihrer Arbeit. Sie stellen ein Produkt vor, in das (hoffentlich) viel Geld, Schweiß und Blut und viel Zeit floss. Und der rote Teppich vor den großen Gala-Aufführungen ist der Moment, in dem sich Filmteams den Fotografen zeigen. Diese Momentaufnahme ist die perfekte Gelegenheit, sich in seiner Individualität in Verbindung mit dem Werk, für das man anwesend ist, auszudrücken.

Als das Filmfestival 1939 gegründet wurde, sollte es bewusst unpolitisch sein. Das war eine Gegenreaktion auf die Zensur der Nazis, die etwa auf den Filmfestspielen Venedig Einflussnahme betrieben. Daher schrieb sich Cannes auf die Fahne, mit künstlerischer Freiheit, Meinungsvielfalt und Humanismus einen Gegenentwurf zu offenbaren.

Freiheit auch auf dem Teppich vom Filmfestival Cannes, bitte

Dieser Gegenentwurf macht sich deutlich in der Filmauswahl bemerkbar. Die Jury scheut nicht davor, hier Werke wie das Bodyhorrordrama „Titane“ (2021), den Schockerfilm „Antichrist“ (2009) von Lars von Trier oder „Mektoub, My Love: Intermezzo“ (2019) von Abdellatif Kechiche, ein Drama mit ausschweifenden Sexszenen, zu zeigen.

Warum ist Nacktheit in der Kunst nun erlaubt und auf dem roten Teppich „aus Gründen des Anstands“ – laut Regelwerk – untersagt? Ganz abgesehen von dem individuellen Ausdruck und der inspirierenden Diskussion rund um „Free the nipple“, mit der Frauen durch das Entblößen ihrer Brust auf die starke Objektifizierung weiblicher Körper hinweisen, bedeutet Mode auch einfach Freiheit.

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Wir halten uns an Oberflächlichkeiten auf

Den Stars des Filmfestival Cannes hier einen Riegel vorzuschieben und etwa die angesagten Naked Dresses à la Kendall Jenner und Bella Hadid zu verbieten ist eine klare Einschränkung dieser Freiheit. Es ist eine Zensur – eigentlich genau das, wogegen einst gekämpft wurde. Ich möchte jetzt wieder Chloë Sevigny zitieren; der Dresscode ist „archaisch“, er wirft uns Jahre zurück.

Um eine weitere Anekdote meiner Karriere im Kultursektor auszupacken, denke ich oft an die Blicke der Operngängerinnen, die mich in meiner Sneaker– und Jeans-Kombination unerfreut musterten. In ihren Blicken las ich Verachtung. Was sie nicht wussten: Ich hatte als Praktikantin im Opernhaus seit frühmorgens geschuftet, um dem Publikum einen angenehmen Abend zu bereiten. Zeit, um mir ein Abendkleid und hohe Schuhe anzuziehen, blieb nicht. Ich war einfach froh, dort zu sein und mir die tolle Aufführung anzuschauen. Wenn wir uns mehr auf die Kunst selbst als auf Oberflächlichkeiten wie Dresscodes konzentrieren würden, wäre die Welt ein schönerer Ort – egal ob nackig, in Glitzer-Sandalette oder Jeans.

Filmfestival Cannes: Redakteurin enttäuscht von neuem Dresscode

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