15. Mai 2025, 17:50 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Es ist der weltweit größte Musikwettbewerb: der Eurovision Song Contest. Für viele gilt das TV-Event als buntes Spaß-Spektakel mit kuriosen Künstlern, etwas Folklore und sexy Showeinlagen. Was dabei übersehen wird: Der Wettbewerb ist für weiblich gelesene Künstler die Chance, sich selbstbestimmt der Öffentlichkeit zu präsentieren. Unsere STYLEBOOK-Autorin begibt sich in Basel, wo das ESC-Finale 2025 stattfindet, auf Spurensuche.
180 Millionen – so viele Zuschauer zieht der Eurovision Song Contest jährlich in seinen Bann. Es ist eine enorm große Bühne, auf der seit der Erstausgabe 1956 Hunderte Künstlerinnen und Künstler ihre Botschaften vermitteln konnten. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Event immer mehr zu einem Safe Space für die queere Szene sowie andere Minderheiten. Und zeigt sich auch immer wieder feministisch. Popkultur spiele generell eine zentrale Rolle in der Konstruktion von Geschlechterbildern – der ESC in Basel 2025 bilde hier keine Ausnahme, wie Dr. Monika Schoop, Professorin für Popular Music Studies an der Leuphana Universität Lüneburg, erklärt. „Als ein medial weit beachtetes Event bietet er im wahrsten Sinne des Wortes eine Bühne, auf der Geschlecht und Sexualität nicht nur dargestellt, sondern auch neu verhandelt werden können.“
Übersicht
ESC 2025 in Basel – mehr „Girlpower“ geht nicht?
In den vergangenen Jahren hätten immer wieder Künstlerinnen und Künstler mit ihren Auftritten dazu beigetragen, normative Vorstellungen zu hinterfragen und alternative Identitätsentwürfe sichtbar zu machen. Dazu gehört u. a. der letztjährige Gewinner aus der Schweiz Nemo, die israelische Gewinnerin Netta (2018) oder Conchita Wurst aus Österreich (2014).
„Gerade durch ihre mediale Sichtbarkeit können solche Musiker*innen eine wichtige Vorbildfunktion einnehmen. Das kann empowernd und identitätsstiftend wirken“, so Schoop. Der ESC berge also das Potenzial für positive Identifikation und gesellschaftliche Impulse in Richtung Vielfalt. Wenngleich auch das Teilnehmerfeld seit jeher eher männlich dominiert ist.: In diesem Jahr etwa stehen 24 Künstlerinnen 34 männlich gelesenen Teilnehmern gegenüber. Dennoch haben, wenn es darauf ankommt, die Frauen die Nase vorn. Seitdem der Liederwettbewerb zum ersten Mal ausgetragen wurde, damals noch als Grand Prix Eurovision de la Chanson, waren über die Hälfte der Gewinnerin weiblich. Darunter finden sich große Namen wie Céline Dion, Vicky Leandros oder Loreen.
Gleichberechtigung gleich ESC?
Doch das allein macht ein Event noch lange nicht zu einer Plattform für Feminismus, geschweige denn für Female Empowerment. In diesem Jahr moderieren mit Hazel Brugger, Sandra Studer und Michelle Hunziker gleich drei Frauen den ESC 2025 in Basel – ganz ohne einen männlichen Gegenpart. Aber ist das schon Female Empowerment?
Vielleicht indirekt – denn eigentlich versteht man unter dem Begriff alles, was zur Stärkung der Selbstbestimmung, Teilhabe, Unabhängigkeit und Gleichberechtigung von Frauen in unserer Gesellschaft beiträgt. Dadurch, dass drei Frauen das Event moderieren, sind weibliche Interessen in einem sonst Männer-dominierten Umfeld wie der Musik- und Fernsehindustrie, sichtbarer. Doch am Ende sind es die Performances der Künstlerinnen auf der Bühne, die ihn Erinnerung bleiben. Und im Hinblick auf Female Empowerment bietet die diesjährige Ausgabe des ESC in der Schweiz so einiges!
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Im sexy Leder-Outfit zu mehr sexueller Selbstbestimmung
Die Finnin Erika Vikman stellt mit „Ich komme“ den wohl plakativsten Beitrag in Sachen weiblicher Selbstbestimmung. In einem knappen Leder-Outfit stolziert sie selbstbewusst über die Bühne, ehe sie auf einem übergroßen Mikrofon-Ständer über dem Publikum schwebt. Dabei singt sie auf Finnisch Zeilen, die übersetzt so viel bedeuten wie: „Meine Pforten öffnen sich“ und kokettiert mit dem deutschen „Ich komme“, was viele wohl mit dem Lustschrei beim Orgasmus assoziieren.
Einerseits ist das natürlich provokativ und spielt mit sexuellen Fantasien, männlichen Stereotypen. Andererseits ist es aber auch ein Akt weiblicher Selbstermächtigung. Dass Frauen vor einem Millionenpublikum über sexuelle Lust singen, ist auch im Jahr 2025 nicht selbstverständlich.
Wenn ein Wortwitz die Moralapostel auf den Plan ruft
Ähnlich verhielt es sich mit dem Beitrag von Miriana Conte aus Malta. Ursprünglich wollte sie den Song „Kant“, was in ihrer Muttersprache schlicht ‚singen‘ bedeutet, antreten. Die lautmalerische Ähnlichkeit mit dem englischen Schimpfwort „cunt“ war dabei wohl gewollt und konnte auch als Akt feministischer Ermächtigung über gesellschaftliche Moralapostel gewertet werden.
Hinzu kommt, dass sie als Plus-Size-Frau nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht und dennoch in einem körperbetonten Outfit auftritt. Nach einer Beschwerde der britischen BBC bei der EBU, die den Wettbewerb organisiert, heißt der Song nun „Serving“. Das Wort „kant“ wurde aus den Lyrics verbannt – und der diesjährige Contest um eine feministische Botschaft ärmer.

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Doch nicht so feministisch wie gedacht?
Musikwissenschaftlerin Monika Schoop wäre allerdings vorsichtig, den ESC als per se empowernd zu sehen. „Das Event transportiert auch eine ganze Reihe konservative Rollenbilder und problematische Schönheitsideale, die nicht zum Empowerment beitragen. Und eher das Gegenteil bewirken.“
Die Girlband Tautumeitas, die Lettland 2025 beim ESC in Basel vertritt, sieht in dem Wettbewerb hingegen eine Chance, weibliches Wissen weiterzutragen. Die Band besteht aus vier Sängerinnen, die einen ganz besonderen Ansatz verfolgen: Ihre Songs setzten die Tradition der lettischen Dainas weiter. Das sind kurze, vierzeilige Gedichte, die seit Hunderten Jahren mündlich überliefert werden – oft von Frauen.
„Eurovision bietet uns die einmalige Chance, weibliche Traditionen sichtbar zu machen und weiterleben zu lassen“, erklären die Bandmitgliederinnen im STYLEBOOK-Interview. Für sie ist es dabei kein Widerspruch, sich auch in sexy Bühnen-Outfits zu präsentieren. „Manchmal tut es einfach gut, sich sexy und körperbetont zu präsentieren, es macht uns stärker, wir fühlen uns gut.“ Beim ESC tragen sie eng anliegende, hautfarbene Bodysuits mit Glitzersteinen. Für sie seien die Bühnen-Outfits dann wie eine zweite Haut, die es ihnen ermöglicht, ihren Song noch kraftvoller zu präsentieren. „Der weibliche Körper steckt voller Kraft. Wir machen das nicht für Männer“, so die Sängerin.