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Feminine und maskuline Energien

Verherrlicht der „Divine Feminine“-Trend alte Rollenklischees – oder steckt mehr dahinter?

In den sozialen Medien wird derzeit stark zwischen femininer und maskuliner Energie unterschieden. Ist das toxisch und veraltet oder eine ganz neue Herangehensweise an Selfcare?
In den sozialen Medien wird derzeit stark zwischen femininer und maskuliner Energie unterschieden. Ist das toxisch und veraltet oder eine ganz neue Herangehensweise an Selfcare? Foto: Getty Images
Desireé Oostland
Autorin bei STYLEBOOK

03.08.2023, 17:54 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Seit geraumer Zeit wird viel über die sogenannte„Divine Femine Energy“ gesprochen – besonders in der spirituellen Bubble der sozialen Medien. Damit ist übersetzt die göttliche, weibliche Energie gemeint, die laut der Verfechterinnen vieles ermöglicht. Geht es Frauen schlecht, fühlen sie sich im Leben überfordert, wird es auf das Ungleichgewicht der Energieverteilung zurückgeführt. Zu viel maskuline Energie, zu wenig von der göttlich weiblichen Energie. Wirft uns dieser Trend wieder zurück – oder ist da tatsächlich etwas dran?

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Frauen, die sich nicht in ihrer „femininen Energie“ befinden, und zu viel von der maskulinen Energie in sich tragen, befinden sich im Ungleichgewicht. Sind überfordert, überarbeitet und unausgeglichen. So beschreiben es die Energie-Verfechterinnen auf den sozialen Medien. Wenn über maskuline und feminine Energien gesprochen wird, dann findet dieser Austausch meist in der Esoterik-Bubble auf TikTok statt. Denn diese Bezeichnungen positionieren sich irgendwo zwischen Spiritualität und Selfcare. Während die eine Seite darauf schwört, dass viele Probleme und sogar psychische Erkrankungen auf das Ungleichgewicht der Energien zurückzuführen sind, schreckt die andere Seite maßlos vor diesen Ausdrücken und der Diskussion rund um das Thema zurück. Der Grund: Sie befürchten, dass das ein gewaltiger Rückschritt ist und für ein veraltetes Denkmuster in puncto Rollenbilder steht.

So wird feminine und maskuline Energie definiert

Die Theorie lautet: Sowohl Frauen als auch Männer tragen feminine und maskuline Energieanteile in sich. Von Geburt an. Doch die Problematik liegt im Überschuss. Am Beispiel der Frau, heißt es also: Befinden sich Frauen zu sehr in ihrer maskulinen Energie, also geben sie zu viel oder gar mehr (in einer monogamen Hetero-Beziehung) als der Mann, indem sie mehr „schaffen“, dann ist die Energie im Ungleichgewicht. Das führt zu Unzufriedenheit und Überforderung, die meist sichtlich erkennbar ist. Die Frau fühlt sich überfordert, der Mann fühlt sich nicht in seiner männlichen Energie.

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Frauen sollten mehr empfangen, entspannen und ihre Kreativität ausleben, um „Divine Feminine Energy“ auszuleben, heißt es. Dann erst kann sich eine Frau in ihrer Energie befinden und scheinbar Ungewöhnliches erreichen. Die Esoterik-Community unterscheidet die Energien folgendermaßen:

Die sogenannte maskuline Energie zeichnet sich durch Logik, Handeln, Macht, Geld, Vernunft, Kraft und Struktur aus. Der femininen Energie werden Eigenschaften wie Kreativität, Intuition, Loslassen, Emotionalität, Stärke und Sein zugesprochen. Laut der Definition sollten Frauen also, um ihre „Divine Feminine Energy“ zu beflügeln, weniger strategisch denken, sich weniger Sorgen machen und die Verantwortung weitestgehend abgeben. Sie sollen einfach ihre Gefühle spüren und sich ihnen hingeben. Das soll wohl (auch) dazu führen, dass Frauen ihre Sexualität besser ausleben können, weil sie weniger gestresst sind und sich mehr in ihrer vorbestimmten Energie einfühlen.

Widerspricht all das nicht dem, wofür wir uns gerade in den vergangenen Jahren so enorm einsetzten? Führt das nicht auch dazu, dass wir Männern wieder mehr Macht geben, die sie auch missbrauchen können? Führt das nicht dazu, dass Frauen sich wieder dort hinbewegen, alle Verantwortung von sich zu geben und sich in Abhängigkeit zu stürzen? Feministinnen haben lange dafür gekämpft, diese Geschlechterbilder aufzulösen, und die daraus entstandenen gefährlichen und diskriminierenden Systeme abzuschaffen. Daher ist es absolut wichtig, solche Trends zu hinterfragen, auch wenn ein Teil davon sicherlich der Wahrheit entsprechen kann.

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„Divine Feminine Energy“ – was ist da dran?

In einer Zeit, in der es fast schon verpönt ist, sich geschlechtstypisch zu verhalten, macht diese Bewegung negativ auf sich aufmerksam. Doch sosehr wir es uns auch wünschen: Mann und Frau sind unterschiedlich. Und hierbei geht es nicht um das veraltete (und ziemlich hirnrissige) Denkmuster, es gäbe ausschließlich Frauen und Männer, Frauen sollen sich fügen, Männer tragen die Verantwortung oder gar: Frauen sind schwach, Männer sind stark. Jedoch werden Männern und Frauen unterschiedliche Attribute zugesprochen. Dabei lässt sich streiten, wie viel von den Unterschieden genetisch bedingt sind und wie viele durch die Gesellschaft und toxische Vorbilder geprägt wurden.

Faktisch (egal, wie sehr wir uns dagegen wehren) sind es Männer, die uns körperlich oft überlegen sind. Der männliche Körper hält mehr aus, als der weibliche. Und damit wurde keine Anti-Feminismus-Annahme getroffen, sondern einfach die realistische Betrachtung der Geschlechter und die Funktionen des menschlichen Körpers.

Als voll berufstätige Feministin, die nicht gerne kocht und auch selbst eine Glühbirne auswechseln kann (die Klischees sind bewusst gewählt), kann man sich dennoch auf Energien beziehen. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass wir alle (!) verlernt haben, uns zu entspannen und einfach: zu sein. Und wenn das als „Divine Feminine Energy“ beschrieben wird, dann kann das für einen Teil der Gesellschaft der Ausdruck dafür sein. Allerdings unterstützt diese Differenzierung in Geschlechter leider den begründeten Groll, den wir den alten Rollenmustern gegenüber hegen. Dennoch: nicht umsonst boomt der Meditations- und Bewusstseinsmarkt seit Jahren. Wenn wir es also nach den Esoterik-Energien benennen, sind wir alle nur noch am „Schaffen“. Somit befindet sich ein Großteil der Menschheit – egal ob Mann oder Frau – zu sehr in der maskulinen Energie, dessen Übermaß niemanden guttut.

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Zwischen den Energien befindet sich aber auch die energetische Gefahr

Wie immer gibt es auch bei diesem Thema schwarze Schafe, die ein willkürliches Thema so zerfleischen, in dem sie es vermarkten, wie einen schlechten Lippenstift aus der Drogerie, von dem man zwanghaft überzeugt werden muss. Wenn die eigentliche Beauty-TikTokerin plötzlich anfängt, zu erklären, dass sie ihren Traummann gefunden hat, weil er ihr erlaubt „sich in ihrer femininen Energie“ zu bewegen, indem er alle Rechnungen bezahlt, dann ist das keine ausgereifte Diskussion über Energien, sondern toxisches und veraltetes Geplapper.

Gefährlich ist das Gerede rund um Energien auch, wenn die junge heranwachsende Zielgruppe mit diesen Attributen die alten klischeehaften Rollenbilder verwechselt. Plump könnte sich daraus schließen lassen: Der Mann muss durch Arbeit das Geld verdienen, die Frau kann den ganzen Tag zu Hause entspannen, kochen und zwischendurch ein Bild malen und sich dann abends ihrer Sexualität hingeben, denn sie ist natürlich nicht gestresst. Äußerst gefährlich.

Auch, wenn der größte Teil der Gesellschaft (Gen Z und Millennials) längst weiß, dass diese Rollenbilder (Mann bestimmt, Frau gehorcht) veraltet sind und weder tragbar noch realistisch, gilt es diese Begriffe mit Vorsicht zu nutzen und noch behutsamer zu definieren. Ebenso ist es gefährlich, die besprochenen Energien ausschließlich auf äußere Attribute zu legen. Besonders bei der femininen Energie ist das oftmals der Fall. So erklären Frauen auf TikTok, dass schöne Frauen-Vorbilder wie Angelina Jolie, nicht etwa durch die harte Arbeit an ihren Erfolg gekommen sind, sondern durch den Einsatz ihrer göttlichen femininen Energie. Solche Behauptungen können völlig falsche Signale aussenden.

Wer sich mehr mit Energien beschäftigen möchte, kann das tun. Dabei sollte es jedoch nicht um Klischees, Rollenbilder, Optik oder Kraft gehen. Es sollte keine romantisierte Darstellung der Geschlechter sein. Und niemals suggerieren, dass ein Problem dieser Welt mit weiblicher oder männlicher Energieverteilung gelöst werden kann. Da müssen wir ganz woanders ansetzen.

Themen Female Empowerment Mental Health
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