26. Mai 2025, 6:12 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Stillen wird oft romantisiert – dabei fällt vielen Frauen gerade der Start schwer. Auch unsere Autorin hatte zu Beginn Probleme, aber auch schöne Momente erlebt. Über ein Jahr Stillzeit haben ihren Körper gezeichnet. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen.
Wenn stillende Mütter in der Werbung gezeigt werden, dann sieht das meistens so aus: Sonnenstrahlen fluten den Raum, eine rundum zufriedene Mutter schaut ihr Baby verliebt an, während es ganz natürlich und vollkommen ohne Probleme an ihrer Brust nuckelt. Dass dieses Szenario mit der Wirklichkeit – zumindest zum Start – meist nicht übereinstimmt, wird vielen Frauen allerdings erst bewusst, wenn sie selbst nach der Geburt stillen wollen. Auch mir ging es so – und ich hatte zu Beginn meiner Still-Reise eine sehr naive Vorstellung. Bis etwa zum sechsten Monat wollte ich meine Tochter nur mit Muttermilch ernähren, was sich auch mit den Mindestempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO deckt. Doch viele Frauen kommen erst gar nicht so weit, wie Zahlen des Robert Koch Instituts belegen. Das könnte eventuell auch an den oftmals verschwiegenen Startschwierigkeiten zu Beginn vom Stillen liegen – und darüber was es mit dem eigenen Körper so macht.
Übersicht
- Ein Jahr stillen! Zäher Start, dann eingespieltes Team
- 9 Dinge, die beim Stillen mit meinem Körper passiert sind
- Mein Energielevel war noch nie so niedrig
- Ich habe ständig Hunger, Durst und Eisenmangel
- Wie kann ein Mensch nur so sehr schwitzen?
- Ich habe abgenommen durchs Stillen
- Meine Brüste sind immer schwer und ich rieche überall Muttermilch
- Kratzwunden am Dekolleté sind „the new normal“
- Brüste können auslaufen
- Es gibt Nippelrisse – ja, wirklich, googeln Sie lieber nicht!
- Mein postpartaler Haarausfall hat sich länger hingezogen
- Ein Jahr Stillen und meinem Körper geht es viel besser als gedacht
Ein Jahr stillen! Zäher Start, dann eingespieltes Team
Am Ende habe ich mein Kind doch wesentlich länger gestillt als ein halbes Jahr. Ich stille meine Tochter nach wie vor morgens und abends und ist mittlerweile fast 14 Monate alt. Dass es so kommen würde, hätte ich am Anfang niemals gedacht. Das Wochenbett und die ersten Andock- sowie Trinkversuche nach der Geburt im April 2024 gehörten zu den einschneidendsten Erfahrungen, die ich jemals gemacht habe. Es war hart. Aber ich würde es jederzeit wieder so machen.
Ich will mit diesem Erfahrungsbericht niemanden Angst einjagen. Vielmehr ist es Zeit, Stillen ein wenig rationaler zu betrachten. Die gesundheitlichen Vorteile liegen auf der Hand: Muttermilch stärkt das Immunsystem, stillen an sich stärkt die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind – und ja, der Körper verändert sich radikal – im Guten wie im Schlechten.
9 Dinge, die beim Stillen mit meinem Körper passiert sind
Mein Energielevel war noch nie so niedrig
Erstmal: Wie krass ist es eigentlich, dass mein Körper auf einmal Nahrung produzieren kann?! Dafür benötigt der Körper mehr Energie als sonst: etwa 500 Kilokalorien mehr sind es laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Das machte sich auch bei mir bemerkbar. Hinzu kommt eine gehörige Portion Schlafmangel – Neugeborene etwa muss man in den ersten acht Lebenswochen alle zwei Stunden wecken, damit sie genug Nahrung zu sich nehmen.
Noch nie in meinem Leben habe ich mich so überwältiget vor Glück und fertig zugleich gefühlt. Stillen ist ein Kraftakt. Daran ändert sich nicht so viel innerhalb eines Jahres. Wenn ich mein Kind an die Brust nehme, werde ich dank Oxytocin jedes Mal unendlich Müde. Weil ich aber stille, trinke ich nach wie vor weniger Kaffee als vorher. Meistens schlafe ich gegen 21 Uhr ein.
Ich habe ständig Hunger, Durst und Eisenmangel
Der Mehrbedarf an Kalorien, aber auch die ständige Müdigkeit in der Stillzeit, haben dazu geführt, dass ich viel mehr Appetit und Durst habe als vorher. Zudem habe ich einen Eisenmangel entwickelt, denn auch bei bestimmten Nährstoffen haben Stillende einen erhöhten Bedarf, da sie ihr Kind über die Muttermilch damit mitversorgen. In den ersten Monaten war dieser Effekt besonders heftig: Ich hatte nachts eine zwei Liter Wasserkaraffe und Dattel-Kokos-Energyballs auf dem Nachttisch stehen.
Nach wie vor gehe ich immer noch nicht ohne einen Notfallsnack aus dem Haus, weil ich nach wie vor das Gefühl habe, mehr Hunger zu haben als etwa in der Schwangerschaft.
Wie kann ein Mensch nur so sehr schwitzen?
Dass man im Wochenbett schweißgebadet aufwacht, erzählt einem als Schwangere auch keiner. Das hat mehrere Ursachen: Einerseits erlebt eine Frau nach der Geburt den größtmöglichen Hormonabfall, den ein Mensch jemals haben kann. Das setzt eine Reihe an Prozessen im Körper in Gang, unter anderem wird auch das vorher eingelagerte Wasser im Körper ausgeschwitzt. Andererseits sorgt die erhöhte Schweißproduktion in der Stillzeit auch dafür, dass das Baby zuverlässig den Weg zu Mamas Brüsten findet. Die sachliche Erklärung tröstet mich nur wenig darüber hinweg, dass ich zeitweise das Gefühl habe, mich minütlich neu zu deodorieren oder duschen zu wollen.
Ich habe abgenommen durchs Stillen
Ja, ich weiß: Es geht nicht allen Frauen so. Aber bei mir ist es nun mal so. Vielleicht liegt es daran, dass ich meine Ernährung nicht großartig umgestellt, weiterhin Yoga-Sessions eingelegt habe und mit meinem Kind viel spazieren gegangen bin. Hinzu kommt, dass ich während der Schwangerschaft Probleme mit meinem Blutdruck hatte und bereits davor im normal hohen Bereich war. Durch das Stillen, was einen blutdrucksenkenden Effekt hat, hat sich mein Blutdruck normalisiert. Auch das kann einen positiven Effekt auf den Stoffwechsel haben.
Meine Brüste sind immer schwer und ich rieche überall Muttermilch
Viele Frauen haben Angst vor hängenden Stillbrüsten, die aussehen wie ausgesaugte Milchtüten. Ich gebe zu, auch ich bin nicht frei davon. Seitdem ich stille, haben meine Brüste Dehnungsstreifen, sind von einem B-Körbchen zeitweise auf ein D-Körbchen angewachsen und sind nun bei einem C-Cup. Wenn mein Kind nicht abgetrunken hat, fühlen sie sich schwer an und ja, die Schwerkraft erledigt ihre Aufgabe – die Brüste hängen etwas mehr als vorher. Aber ganz so schlimm, wie ich dachte, ist es bisher nicht.
Was mich viel mehr stört: Alles riecht gefühlt nach Muttermilch. Wenngleich meine Freunde, Ehemann und Familie mir glaubwürdig erklären, dass dem nicht so ist, bleibt der frisch, milchig-süßliche Duft immer in meiner Nase.
Kratzwunden am Dekolleté sind „the new normal“
Wer ein Baby hat, weiß, welche Kratzkraft Babyfingernägel haben. Ihre kleinen Händchen sehen so niedlich aus, machen aber jedem Stubentiger Konkurrenz. Das bekommen auch meine Brüste zu spüren: Ich habe täglich Kratzwunden im Dekolleté und an der Brust, die mit Panthenol-Creme versorgt werden.
Brüste können auslaufen
In zahlreichen Serien und Filmen kommt es irgendwann zu den ach so „lustigen“ Szenen, in denen eine stillende Mutter mit einem nassen Fleck auf dem T-Shirt zu einem wichtigen Termin muss. Gerade in der Anfangszeit, wenn sich die Milchproduktion bislang nicht auf den Nahrungsbedarf des Kindes eingependelt hat, passiert das. Aber: Auch wenn meine Tochter sehr doll weint oder sie lange körpernah getragen wurde, kann das passieren, genauso wenn zu lange Stillpausen entstehen.
Ein Beispiel: einmal an der Sicherheitskontrolle am Flughafen London Stansted. Nachdem ich meine Tochter zwei Tage lang in der Trage durch die britische Hauptstadt befördert habe, dachte sich mein Körper: Hey, produzieren wir mal wieder mehr Milch! Und so stand ich da, zwischen einem Körperscanner mit einem riesigen Milchfleck auf Brusthöhe über meinem gesamten T-Shirt.
Es gibt Nippelrisse – ja, wirklich, googeln Sie lieber nicht!
Als meine Tochter frisch auf der Welt war, hatte sie Schwierigkeiten richtig anzudocken und ich, vollkommen unerfahren und mit nur wenig Stillberatung im Gepäck, konnte das nicht richtig einordnen. Die Folge: ein tiefer Riss in meinem Nippel. Der Nippel war offen, blutig und schmerzte höllisch. Trotzdem musste ich meine Tochter weiterhin versorgen. Was dagegen hilft? Ein Donutkissen aus zwei Stilleinlagen, mit Loch in der Mitte und Stoffbezug, damit der Nippel nicht am BH-Stoff reibt, und abspülen mit Salzlösung. Es hat ganze vier Monate gedauert, bis das verheilt ist.
Mittlerweile sind meine Nippel durch ein Jahr stillen auf komische Art und Weise sehr berührungsempfindlich, fühlen sich aber auch so an, als hätten sie eine Art Hornhaut entwickelt. Ich weiß nicht, ob das geht.
Mein postpartaler Haarausfall hat sich länger hingezogen
Durch den drastischen Hormonabfall im Wochenbett kommt es bei vielen Frauen zu einem temporären Haarausfall. Allerdings setzt der bei Frauen, die vollstillen später ein und kann sich auch länger ziehen. Dreimal dürfen Sie raten, wem genau das passiert ist? Zwischenzeitlich habe ich mich gefühlt wie ein ultrahaarendes Angora-Kaninchen. Nach etwa elf Monaten hörte das aber zum Glück aus und nun kann ich versuchen, meine Babyhaare zu bändigen.
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Ein Jahr Stillen und meinem Körper geht es viel besser als gedacht
Meine Tochter und ich sind indessen was das Stillen eingeht ein eingespieltes Team. Es gelingt uns in jeder erdenklichen Position, ist praktisch unterwegs und Infekte klingen schneller ab. Inzwischen mache ich mir auch keinen Stress mehr abzustillen. Es passiert, wenn es passiert. Wir entwöhnen uns langsam. Zu Beginn musste ich sie alle zwei bis drei Stunden an die Brust nehmen, es gab Cluster-Phasen, in denen ich stillen musste ohne Pause – das war hart für meine Psyche und Körper. Es hat aber vieles im Nachhinein leichter gemacht. Ich selbst kenne meinen Körper besser als jemals zu vor, bin resilienter geworden und meine Tochter hat eine sehr starke Bindung zu mir. Ohne die, wäre die Krippen-Eingewöhnung auch wesentlich schwerer geworden.
Ich kann jede Frau verstehen, die vorzeitig abstillen möchte oder nicht kann. Auch wenn Hebammen immer sagen: „Jede Frau kann stillen!“ – tatsächlich gibt es aus medizinischer Sicht nur etwa fünf bis zehn Prozent, bei denen es einfach nicht zum Milcheinschuss kommt – der Start ist oft so kräftezehrend, dass einem nichts anderes bleibt, als aufzugeben. Ohne meine Hebamme an der Seite, die mich angeleitet und Tipps gegeben hat und die Unterstützung der für mich richtigen Milchpumpe, hätte ich wohl auch die Flinte ins Korn geworfen.
Dass es nicht so kam, lässt mich versöhnlicher auf den harten Stillstart blicken und mein Körper hat sich zwar verändert – insgesamt aber geht es mir sogar besser als vor der Schwangerschaft. Stillen hat also nicht nur für das Baby Vorteile, sondern auch für meinen Körper.