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Kritik um Privilegien

„Pretty Privilege“ – erleichtert Schönheit das Leben?

Schöne Menschen haben es im Leben einfacher. Aber wie kann das noch heute so sein? Und wer definiert eigentlich Schönheit?
Schöne Menschen haben es im Leben einfacher. Aber wie kann das noch heute so sein? Und wer definiert eigentlich Schönheit? Foto: Getty Images
Desireé Oostland
Autorin bei STYLEBOOK

06.06.2023, 15:56 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Unzählige Studien haben es schon belegt: „Schöne“ Menschen haben es im Leben leichter, denn sie genießen verschiedene Privilegien im Alltag, im Berufsleben oder sogar vor Gericht. „Pretty Privilege“ nennt sich diese Selektion nach äußerer Attraktivität. Doch ist das nicht schon längst überholt? Und wer definiert eigentlich Schönheit? STYLEBOOK hat mit einem Experten dazu gesprochen.

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Die Welt ist oftmals oberflächlich, die Gesellschaft wird von äußerer Schönheit beeinflusst. Das ist uns allen bewusst. Die genauen Ausmaße, die der reine Blick auf optische Attribute aber mit sich bringen, werden oftmals unterschätzt und fallen besonders denjenigen, die diese Privilegien genießen, selten auf. TikTok hat dem Ganzen einen Namen gegeben: Pretty Privilege. Unter dem gleichnamigen Hashtag wurden bislang über 250 Millionen Videos hochgeladen. Das heißt doch eigentlich, dass sich die Gesellschaft darüber bewusst sein muss und aktiv dagegen vorgehen könnte, oder? Leider ist das nicht die Realität.

Vorab: Um den Lesefluss nicht zu stören, schreiben wir in diesem Artikel oftmals von „schönen Menschen“. Gemeint sind damit diejenigen, die dem aktuellen, gesellschaftlichen Schönheitsideal entsprechen.

Was ist Pretty Privilege?

Pretty Privilege, im Deutschen das Schönheitsprivileg genannt, ist das Privileg, das jene Menschen genießen, die dem derzeitigen normativen Schönheitsideal entsprechen. Diese Menschen gelten in breiten Massen als „schön“ und genießen aufgrund dessen Vorteile gegenüber „normalen“ Menschen.

Das bezieht sich nicht nur auf die Dating-Ebene, die schon immer von der Oberflächlichkeit überschattet wurde, sondern auch auf verschiedene und besonders wichtige Teile des Lebens: Gehaltsgespräche, Entscheidungen im Bewerbungsverfahren, Wohnungssuche. All die Entscheidungen, die in diesen Lebensbereichen von anderen getroffen werden, sind Teil des Ganzen, denn meist wird den Schönen der Vortritt gewährt. Oftmals sind aber auch einfache Situationen im Alltag von diesem versteckten Privileg betroffen: Das Aufhalten der Tür, den Vortritt im Café oder einfach das Lächeln auf der Straße – Erfahrungen, die schönen Menschen immer wieder erleben, andere aber selten bis nie.

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Wer definiert Schönheit?

Wir haben zu diesem Thema mit Prof. Dr. Rosar gesprochen. Er ist Professor der Soziologie und hat bereits einige Studien über die soziale Wirkung physischer Attraktivität, physische Attraktivität im Allgemeinen und soziale Ungleichheit veröffentlicht und beschäftigt sich mit Attraktivitätsforschung. 

 „Es gibt nicht DIE eine Schönheitsformel“, so Prof. Dr. Rosar. „Man kann eine Reihe von Merkmalen nennen, die dazu führen, dass Menschen attraktiver wahrgenommen werden“. Doch wer dabei an das perfekt symmetrische Gesicht denkt, liegt falsch: „Das absolut perfekte Gesicht würde langweilig wirken, es ist besonders die kleine Anomalie, die das Gesicht so interessant macht“, so Prof. Dr. Rosar gegenüber STYLEBOOK. 

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Als Beispiel nennt er Julia Roberts. Mit ihrem Foto wurde bereits eine Studie durchgeführt. Die beteiligten Personen kannten sie nicht, ihn wurden zwei Fotos von ihr vorgelegt. Einmal ein Original von Roberts, mit ihrem eigentlich für die Proportionen viel zu großen Mund und einmal ein verfälschtes Bild mit einem Mund, der auf das statistische Durchschnittsmaß verkleinert wurde. Alle Beteiligten entschieden sich für das Original von Roberts, wenn es um die Frage der Attraktivität ging. 

Dabei ist die eigentliche psychische Attraktivität nur ein Baustein von mehreren. Frisur, Bart beim Mann, Gestik und Mimik oder auch Status spielen eine nicht zu vernachlässigende Rolle, wenn wir über Attraktivität sprechen. „Im realen Leben ist das immer eine Mischung aus all diesen Komponenten“, erklärt Prof. Dr. Rosar. „Im Regelfall haben attraktive Menschen aber auch ein selbstbewussteres Auftreten und eine offenere Ausstrahlung.“ Dabei stoßen wir tagtäglich auf eine Mischung an Attraktivitätsleveln: „Im Normalfall ist Attraktivität aber zufällig verteilt“, so Rosar. „Das bedeutet, dass wir, egal wo wir auch unterwegs sind, immer auch gleich viele attraktive, als auch weniger attraktive Menschen stoßen“, fährt er fort. 

Wo liegt der Ursprung?

Laut Prof. Dr. Rosar gibt es einen sogenannten Attraktivität-Konsens. Dieser besagt, dass Schönheit eben nicht im Auge des Betrachters liegt. „Wir neigen dazu, attraktiven Menschen eine positive Persönlichkeitseigenschaft zuzuschreiben“, so Prof. Dr. Rosar. „Das ist ein simpler psychologischer Fehlschluss, denn unser Gehirn meint, nur weil eine Dimension eine positive Ausprägung hat, müsste das auch für die anderen Dimensionen gelten“, erklärt er. „Attraktive Menschen gelten als intelligenter, fleißiger, kreativer.“ 

Das kann man gegen das Pretty Privileg tun

Die Menschen, die diese Privilegien verteilen, machen dies nicht (immer) vorsätzlich, sondern oft unterbewusst, einfach, weil es antrainierte gesellschaftliches Vorgehen ist. Außerdem gibt es eine Art Schönheitsbrille, die wir einmal auferlegt bekommen haben und mit der wir noch heute die Menschen scannen, die uns gegenüberstehen. In Sekundenschnelle nehmen wir wahr, ob wir unser Gegenüber attraktiv finden – und dann leider auch, wie wir mit den Menschen dann umgehen. Wir könnten all das allerdings durchbrechen, in dem wir verinnerlichte Glaubenssätze und Vorurteile gegenüber privilegierten Menschen hinterfragen und all diese Muster Stück für Stück aufbrechen. Wir müssen uns dafür aktiv mit diesen Vorurteilen auseinandersetzen. Gehen wir selbst manchmal anders mit attraktiven Menschen um als mit unattraktiven? Inklusion bedeutet ALLE Menschen gleichzubehandeln und dabei besonders die äußeren Attribute außer Acht zu lassen – in jeder Lebenslage. Denn letztlich kann nur das aktive Arbeiten gegen diese verinnerlichte Einstellung etwas bewegen.

Prof. Dr. Rosar sieht unsere Verantwortung als Gesellschaft in der Aufklärung, aber auch in der direkten Handlung: „Wichtig ist, darauf zu achten, dass Auswahl- und Beförderungsmechanismen so aufgebaut sind, dass sie diskriminierungsfrei sind, und das betrifft natürlich nicht nur die Attraktivität. Da ist allerdings noch ein weiter Weg, den wir gehen müssen.“ 

Ist Schönheit wirklich wichtiger als die inneren Werte?

Die Frage, ob Schönheit wirklich wichtiger ist, als andere Merkmale ist einfach zu beantworten: oftmals ja. Dabei ist besonders die Reihenfolge brisant, in der diese Attribute beachtet werden: Schönheit rückt da ziemlich weit nach vorn, so weit, dass IQ und soziale Fähigkeiten leicht überschattet werden könnten.

So werden Menschen gesehen

Pretty Privileg definiert nicht nur die Vorteile, die normschöne Menschen genießen, sondern auch die allgemeine Außenwahrnehmung. So werden schöne Menschen von Außen als intelligenter, lustiger, geselliger, gesünder und erfolgreicher wahrgenommen, als andere. Diese Wahrnehmung erst sorgt für diese unfaire Vorteilbeschaffung. Deshalb fällt es schönen Menschen oft deutlich leichter, Kontakte und Freundschaften zu knüpfen oder auf Events wahrgenommen und ernst genommen werden. Nicht umsonst, werden in einigen Berufen, beispielsweise im Vertrieb, gerne Menschen ausgewählt, die diesem Schönheitsideal entsprechen: Ihnen fällt es viel einfacher, all die wichtigen Kontakte zu pflegen und aufrechtzuerhalten.

Schönen Menschen wird der also eine Einladungskarte in die Hand gedrückt, mit dem sie sich die Tür zu verschiedenen Möglichkeiten öffnen kann. Diese imaginäre Karte bleibt jenen verwehrt, die diesen Idealen nicht entsprechen. Ungeschönt bleibt zu sagen: Es verhält sich ähnlich zu anderen Privilegien, die herrschen: Geschlecht, Alter, zugeschriebener Herkunft und Klasse. Sobald andere Menschen benachteiligt werden, haben wir es mit Diskriminierung zu tun.

Wir neigen unterbewusst dazu, unsere Aufmerksamkeit an attraktivere Menschen zu vergeben. „Wir betrachten attraktive Menschen häufiger und intensiver, so können wir uns später besser an sie erinnern. Außerdem behandeln wir sie im Alltag oftmals besser.“, sagt Prof. Dr. Rosar. Das lässt sich bestens im Aufzug beobachten: „Die attraktivste Person im Aufzug bekommt immer den meisten Platz, achten Sie einmal darauf“, rät er. „Oder auch im Kaufhaus, wer wird besser behandelt und wem wird die Tür öfter aufgehalten?“ 

„Es gibt eine klare Tendenz, attraktive Menschen besser zu behandeln als weniger attraktive Menschen“. Das geht sogar so weit, dass attraktive Menschen vor Gericht einen Vorteil erlangen, wenn es um die Strafe geht. „Das nennt sich Glamour-Effekt“, so der Professor. In Summe führt das dazu, dass attraktive Menschen immer einen Wettbewerbsvorteil genießen.   

Wie wirkt sich Pretty Privilege auf unser Leben aus?

Es ist klar: Wenn Menschen immer wieder diesen Zuspruch erhalten, Privilegien nutzen und erfahren, stärkt es das Selbstbewusstsein. Diese privilegierten Menschen können sich glaubwürdiger verkaufen, als andere, erfahren selten Ablehnung und treten Situationen weniger ängstlich gegenüber. Was soll schon passieren, wenn man so gut aussieht? Menschen, die mit all dem nicht konfrontiert werden, sind dadurch oft schüchterner und zurückhaltender und kommen oftmals nicht dazu, ihr volles Potenzial entfalten können.

Ein weiterer Punkt ist der Kapitalismus: Schönheit ist und bleibt ein Verkaufsargument. Nicht umsonst, ist das Schönheitsgeschäft eines der größten Branchen dieser Welt. Der Schönheit streben die meisten Menschen entgegen: Das Pretty Privilege ist somit Teil des Kapitalismus, wird dadurch unterstützt und manchmal sogar angetrieben.

Die Attraktivitätsforschung belegt diese Annahme der Schönheitsprivilegien schon seit den Neunzehnhundertsiebzigern. Studien zeigen es transparent. „Schon Mütter behandeln ihre Säuglinge abhängig von deren Attraktivität unterschiedlich“, sagt Prof. Dr. Rosar. Und diese Besserbehandlung durch andere setzt sich bis ins Erwachsenenalter fort. Es gilt zudem für die verschiedensten Lebensbereiche. „Es gibt also wohl keine Lebensphase und kaum einen  Lebensbereich, wo das keine Rolle spielt“. 

Mehr zum Thema

Hat sich das Schönheitsideal verändert?

Auch, wenn die Beantwortung dieser Frage nicht das ursprüngliche Problem lösen würde, ist es wichtig, das Thema „Schönheitsideal“ zu beleuchten. Volle Lippe, symmetrische Gesichtshälften, große Augen, gerade Nasen, Kurven (nur an den richtigen Stellen versteht sich), schlanke Beine, und vieles mehr. Wer meint, dass diese Vorstellung der Schönheit veraltet ist, der täuscht sich. Dank Instagram und Co. sehen wir es noch heute: Der Anspruch an Schönheit hat sich nicht wirklich geändert. Teilweise wurden kleine Körperteile verändert (statt kleiner Po, war es kurze Zeit der große Po).

Heute sind wir einzig ein paar Filter weiter, aber noch lange nicht davon entfernt. Nur, weil wir rufen, dass Oberflächlichkeit der Vergangenheit angehört, ist das noch lang nicht die Realität. Die einzige Erklärung ist: Es ist diskriminierend, Menschen aufgrund ihrer Optik einen Vortritt zu überlassen, egal in welcher Form.

Quelle

  • mit fachlicher Beratung durch Prof. Dr. Rosar, Professor der Soziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Themen Interview
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