
24. Juni 2025, 7:16 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Redakteurin Louisa Stoeffler entdeckte sehr spät, dass sie echte Locken hat – obwohl ihr jahrzehntelang gesagt wurde, sie habe glattes Haar. In ihrem Erfahrungsbericht erzählt sie, wie sie ihre natürliche Haarstruktur wiederentdeckte und welche Rolle Social Media, Pflegewissen und familiäre Prägungen dabei spielten.
Ich bin 35 Jahre alt und habe gerade erst entdeckt, dass ich Locken habe. Nicht nur ein paar Wellen oder ungebändigtes Volumen am Ansatz, wie ich jahrelang dachte – sondern echte, springende 3a/3b Curls. Vergleichen Sie einmal das Aufmacherbild und mein Autorenfoto. Dieselbe Person – und keine Dauerwelle! Und ehrlich gesagt bin ich wütend. Auf das System, auf Unwissenheit, auf Generationen von Frauen in meiner Familie – und ein bisschen auch auf mich selbst.
Eine Kindheit voller Missverständnisse – und Eingriffe mit der Schere
Als Kleinkind hatte ich süße Korkenzieherlöckchen. Davon gibt es noch Fotos. Kurz danach wurden sie weggeschnitten. Immer und immer wieder. Was ich erst jetzt weiß: Meine Großmutter hatte einen regelrechten Spleen, was Haare anging. Ihre Devise: „Kurze Haare sind pflegeleicht.“ Sie trug ihre Haare selbst extrem kurz, säbelte sich als Kind jede Welle ab, weil sie gemobbt wurde – und hat diese Einstellung an die nächste Generation weitergegeben. Meine Mutter wiederum ist, nachdem mir die Locken als Kind verschnitten wurden, jahrelang davon ausgegangen, dass sie dann nie wiederkommen. Haare kämmen war immer eine einzige Tortur, ich habe geweint, geschrien und so manche Haarbürste brach.
Also habe ich lange geglaubt, meine Haare seien einfach … schwierig. Kaum zu glätten, ohne Textur, irgendwie unförmig und strohig. Und spätestens am zweiten Tag nach dem Waschen waren meine Haare fettig, platt oder ein Strohballen.
Die Locken waren nie weg – ich wusste nur nicht, wie ich sie pflegen muss
Erst durch ein Probestyling für meine Hochzeit und einige Produktempfehlungen meiner Stylistin lernte ich die bunte Welt von HairTok und Co. kennen. Ein Video im Besonderen ist mir im Gedächtnis geblieben: „Sehen deine Haare so aus, wenn sie nass sind? Dann hast du wahrscheinlich Locken oder Wellen“ – und bei mir fiel der Groschen. Da gab es viele andere Frauen mit meiner Haarstruktur, mit meiner Frizz-Textur. Nun lernte ich: Frizz ist nicht gleich Spliss. Frizz sind Haare, die sich locken wollen – und nicht kaputt. Der Unterschied? Pflege. Wissen. Geduld.
Ich stürzte mich in die Welt der Curly Girl Method, testete Low Poo, probierte Kuren, Leave-ins, Schaumfestiger und Diffusor-Haartrockner. Meine geschädigten Längen behandelte ich mit gehypten Bond-Repair-Produkten und reichlich Proteinen und Feuchtigkeit. Ich lernte, meine Haare nicht mehr zu kämmen, sondern nur noch mit Conditioner im nassen Zustand zu entwirren. Ich entdeckte, dass meine Haare nicht fettig, sondern einfach ausgetrocknet waren, weil ich ihnen über Jahre hinweg alles entzogen hatte.
Der Social-Media-Dschungel: CurlTok, Lockenpolizei & das Gefühl, alles falsch zu machen
Aber ganz ehrlich: So magisch das Internet sein kann – es kann auch einschüchtern. Vor allem, wenn man sich auf TikTok oder Instagram in den Curly-Content-Dschungel begibt. Für jede hilfreiche Routine gibt es zehn gegensätzliche Meinungen. Der eine sagt: „Nie mit Hitze!“, die andere: „Nur mit Plopping!“, ein Dritter ruft: „Finger-Coiling ist Pflicht!“
Und dann ist da noch die sogenannte Lockenpolizei – Creator, die dir erklären, dass deine Locken nicht echt genug sind. Dass du sie „forcierst“. Dass du keinen „echten Curl Type“ hast. Dass du Produkte falsch anwendest. Und du sitzt da mit deinem nassen Handtuchturban (natürlich aus Mikrofaser) und denkst: „Darf ich das überhaupt Locken nennen?“
Diese Gatekeeper-Mentalität hilft niemandem. Denn der Weg zu den eigenen Locken ist kein gerader. Es ist Trial-and-Error. Es ist ein Labyrinth aus Anleitungen, Routinen, Inhaltsstoff-Analysen und – ganz ehrlich – manchmal auch Frust. Ich habe zu viel Zeit damit verbracht, zu recherchieren, nur um am nächsten Waschtag festzustellen: Dieses Produkt macht meine Haare strohig oder das gerade noch geliebte Haaröl enthält so viele Silikone, dass ich meine Haare nach der Routine damit nicht mehr „ausscrunchen“ kann, weil sie direkt wieder so beschwert sind, dass sie jede Textur verlieren.
Aber dann – plötzlich – findet man eine Routine, die passt. Und dann ist da dieser eine Tag, an dem man in den Spiegel schaut und denkt: „Da bist du ja.“
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Die Rückkehr meiner Locken – und ein neuer Blick auf mich selbst
Heute, nach Monaten der richtigen Pflege, bin ich endlich zufrieden mit meinen Haaren. Und ich liebe sie. Sie sind wild, rebellisch, lebendig – ein bisschen wie ich. Ich bin stolz auf sie, aber auch traurig. Traurig, dass mir über 30 Jahre lang keiner beigebracht hat, wie ich mit ihnen umgehen soll. Dass wir in einer Welt aufwachsen, in der „glatt“ immer noch als Ideal gilt. In der Frauen mit Locken beigebracht wird, sie zu zähmen – statt sie zu feiern.

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Fazit: Haare sind politisch – und persönlich
Meine Lockenreise ist mehr als nur ein Beautyding – und noch lange nicht beendet. Sie ist ein Stück Identitätsfindung. Ich musste 35 werden, um zu erkennen: Das bin ich wirklich. Und ich bin nicht allein. Wenn Sie das hier nun lesen und auch denken, Sie hätten „schwierige“ Haare – haben Sie vielleicht einfach nur Locken. Und die dürfen Sie zurückholen. Auf Ihre eigene Weise. Nicht die von TikTok.