Während die einen sich schon bei der Vorstellung vor Ekel schütteln, schwören andere auf den Verzehr des Mutterkuchens in den unterschiedlichsten Formen – ein Thema, bei dem die Meinungen extrem auseinandergehen. STYLEBOOK fragte bei Gynäkologe und Plazenta-Forscher Dr. Alex Farr von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde an der Medizinischen Universität Wien nach.
Übersicht
Was ist Plazentophagie?
Die Plazenta – jenes Gewebe, das den Fötus im Bauch über die Nabelschnur mit Sauerstoff und Nahrung versorgt – erreicht während der Schwangerschaft einen Durchmesser zwischen 15 und 20 Zentimetern und bringt bis zu 600 Gramm auf die Waage. Wenn Neu-Mütter ihre Nachgeburt nach der Entbindung nicht einfach entsorgen lassen, sondern zum späteren Verzehr aufheben, nennt sich das Plazentophagie.

Warum essen Frauen ihre Plazenta?
Befürworter versprechen sich von der Plazentophagie einen besseren Milchfluss, eine schnellere Rückbildung, weniger Schmerzen und das Verhindern des Baby Blues‚, der medizinisch als postnatale oder -partale Depression bekannt ist. Der Verzehr der Plazenta sei schlicht ein natürlicher Vorgang – auch Tiere würden die Plazenta essen, um die darin enthaltenen Nährstoffe wieder aufzunehmen.
Bei der Plazentophagie wird der Mutterkuchen in Kapseln gepresst, zu homöopathischen Globuli oder Pulver verarbeitet oder auch mit Hilfe diverser Rezepte verarbeitet. Dabei richten Interessierte die Nachgeburt roh, geröstet, gekocht oder dehydriert an, im Internet finden sich dazu diverse Anleitungen. Manche Frauen feiern sogar ganze Plazenta-Partys – mit ihrem Mutterkuchen.
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Wie gesund ist es, die Plazenta zu essen?
Aber ist der Verzehr der Nachgeburt wirklich sinnvoll? Dr. Alex Farr hat zum Thema geforscht und vertritt einen klaren Standpunkt: Nein. „Da Plazentophagie potenziell schädlich ist und keinen nachgewiesenen Nutzen hat, sollten Ärzte davon abraten”, schreibt der Gynäkologe im American Journal of Obstetrics and Gynecology. Im Interview mit STYLEBOOK erklärt der Experte: „Es gibt Hinweise darauf, dass bakterielle Infektionen durch den Verzehr der Plazenta übertragen werden können. Ebenso erscheint es theoretisch möglich, dass auf diese Weise Viruserkrankungen übertragen werden. Zu beidem haben wir bisher jedoch noch kaum zuverlässige Daten.“
Außerdem sei zu befürchten, dass Schwermetalle und Toxine über die Muttermilch auf das Neugeborene zurückübertragen werden können. Diese sammeln sich im Laufe der Schwangerschaft in der Plazenta an. In den USA habe es einen Fall gegeben, bei dem ein Baby nur knapp dem Tod durch eine Blutvergiftung entkommen sei, so Farr. Das sei möglicherweise auf eine verspeiste Plazenta zurückzuführen.
Allerdings, so Farr, hätten Umfragen unter Frauen, die Plazentakapseln im Wochenbett einnahmen, gezeigt, dass es bei den Müttern „zu einer allgemeinen gesundheitlichen Verbesserung, weniger Schmerz, mehr Energie und zu Verbesserungen beim Stillen“ gekommen sei. Der Mediziner ist jedoch der Ansicht, dass es sich hier vermutlich vorrangig um einen Placebo-Effekt handle. Die befragten Frauen seien ohnehin Plazentophagie-Befürworter gewesen.
„Medizinisch gesehen ein Abfallprodukt“
Die Bundesbehörde des US- Gesundheitsministeriums gab 2017 eine Warnung vor der Einnahme der Plazenta heraus, da infektiöse Krankheitserreger während der Einkapselung nicht ausreichend beseitigt würden. Farr geht in einem Bericht der Medizinischen Universität Wien sogar noch weiter. Nicht nur, dass es keine wissenschaftlichen Belege für den klinischen Nutzen der Plazentophagie gebe, „medizinisch gesehen ist die Plazenta ein Abfallprodukt”. Und: „Nachdem die Plazenta genetisch zum Neugeborenen gehört, grenzt das Verspeisen der Plazenta an Kannibalismus.”

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Wie schmeckt die Plazenta?
Im Interview erklärt der Gynäkologe, dass die Plazenta auf der mütterlichen Seite eine raue Konsistenz habe, „etwa wie ein dichter fester Schwamm.“ An der Seite, die dem Baby zugewandt ist, sei sie von der Eihaut überzogen und man könne Gefäße und die Nabelschnur, die aus ihr entspringe, sehen. Wie die Plazenta schmeckt, könne er allerdings nicht sagen: „Ich habe sie noch nie gegessen und habe dies auch nicht vor. Ich würde aber annehmen, dass sie eher wie Leber oder Blutwurst schmeckt – allerdings angeblich nicht sehr gut.”
Am Ende bleibt es natürlich jeder Frau selbst überlassen, wie sie mit ihrer Nachgeburt verfährt. Eine schöne Alternative zum Verzehr stellt in jedem Fall das Einpflanzen dar: Wer einen Garten hat, kann den Mutterkuchen in der Erde vergraben und darauf einen Baum pflanzen.
Quelle
– Farr, A. et al. (2017): Human placentophagy: a review
– Medizinische Universität Wien (2017): Gefährlicher Trend: Plazenta eignet sich nicht als Superfood
– Mit fachlicher Beratung von Prof. Dr. Alex Farr, Gynäkologe und Plazenta-Forscher